Boris Palmer ist nicht unumstritten, aber bei dieser Aktion sollte sich Freiburg vielleicht etwas abschauen. Tübingen leidet ähnlich wie Freiburg unter einem sehr angespannten Wohnungsmarkt.
Anstatt die Stadt wie Freiburg mit Dietenbach im Außenbereich weiter auszudehnen, hat Palmer Eigentümer baureifer Grundstücke angeschrieben und nach dem Grund der Nichtbebauung gefragt.
Um den Mangel an Wohnraum in Städten und Gemeinden zu mildern, sieht das Baugesetzbuch in §176 ausdrücklich vor, dass ein Gebot zur Bebauung eines Grundstücks entsprechend den Festsetzungen eines Bebauungsplans ausgesprochen werden kann.
Weder unter OB Dieter Salomon noch unter Martin Horn war ein Baugebot bis dato Thema, zumindest ist davon nichts nach außen gelangt, obgleich der Wohnungsmangel hier sicher nicht geringer ist. Seit mindestens fünf Jahren ist klar, dass Dietenbach nur mittels Enteignungen von Landwirten oder zumindest deren Androhung realisiert werden kann. Ferner ist bekannt, dass der Bau von Dietenbach die Einhaltung der Klimaziele unmöglich macht. Auf die immensen Haushaltsrisiken, die negativen Auswirkungen auf Natur und Landwirtschaft etc. soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Wie kommt es, dass Verwaltung und Gemeinderat inkl. den Grünen in Freiburg kein Problem in der Vernichtung dieser riesigen Grünfläche sehen und auch vor Enteignungen in diesem Zusammenhang nicht zurückschrecken, ein Baugebot, das viel schneller Wohnraum bewirken würde, aber nicht in Erwägung ziehen, obgleich das z.B. im Städtetag schon thematisiert wurde? Kann es sein, dass man den tendenziell wohlhabenderen Grundstückseigentümern nicht vor den Kopf stoßen will? Wenn z.B. mit bereits versiegelten baureifen Flächen spekuliert wird, anstatt diese zu bebauen, dann wäre ein Baugebot sicher nachhaltiger, anstatt wertvolle Landwirtschafts-, Natur- und Naherholungsfläche zu vernichten. Zudem könnte auf diese Weise viel schneller Wohnraum entstehen. Alleine wegen der Signalwirkung sollte man Baugebote auch in Freiburg prüfen. Tübingen geht nun diesen Weg. Der dortige OB will in einem ersten Schritt die Gründe für die Nichtbebauung erfahren. Ferner weist er daraufhin, dass u.U. ein Baugebot ausgesprochen wird. Ferner bestünde auch die Möglichkeit an die Stadt oder an Dritte zu verkaufen.
In Anbetracht der niedrigen Zinsen und der vergleichsweise geringen Grundsteuern auf unbebaute Grundstücke verkauft niemand ohne Not ein Grundstück. Manch einer kauft ein Grundstück zur Kapitalanlage ohne konkrete Bauabsicht. Diese Situation treibt zum einen die Preise am Immobilienmarkt und sorgt dafür, dass z.B. in Freiburg im Jahr 2018 gerade mal 28 Grundstücke für Ein- und Zweifamilienhäuser verkauft wurden, davon alleine 10 am Tuniberg.
Im Schreiben an die Tübinger Grundstückseigentümer führt Palmer aus:
„Mir ist bewusst, dass die Ankündigung eines Baugebots für Sie als Grundstückseigentümer ein tiefer Einschnitt in die Verfügungsfreiheit über Ihren Besitz darstellt. Nach Artikel 14 unseres Grundgesetzes unterliegt das Eigentum jedoch einer Sozialbindung. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zählt dazu auch, dass die Vorleistung der Allgemeinheit, ein Baurecht auf einem Grundstück zu schaffen, mit der Verpflichtung einhergeht, dieses Baurecht in angemessener Frist zu nutzen. Denn der Großteil des Grundstückswerts entsteht erst durch das Baurecht, er kann also von niemandem selbst geschaffen werden. Damit die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum gelingt, muss dieser gemeinschaftlich geschaffene Wert auch genutzt werden.
Ich weiß: Individuell stehen oft ganz andere Überlegungen im Vordergrund. Häufig werden Baugrundstücke für Kinder oder Enkelkinder vorgehalten. Das ist verständlich, aber nach mehreren Jahrzehnten nicht mehr angemessen. Die Mobilität in der Gesellschaft hat stark zugenommen. Man kann deshalb nicht mehr davon ausgehen, dass die Kinder auf jeden Fall im Wohnort der Eltern oder Großeltern bauen. Bitte bedenken Sie auch: Einer relativ kleinen Zahl von Grundstückseigentümern, die es sich leisten kann, auf Jahrzehnte ein Grundstück unbebaut vorzuhalten, steht eine weitaus größere Zahl von Familien gegenüber, die aktuell dringend ein Grundstück sucht und nicht findet. Ein solcher Widerspruch führt zu Spannungen in einem Gemeinwesen, die die Politik nicht ignorieren kann, sondern auflösen muss. Wenn kein anderer Weg zu finden ist, scheint mir als letztes Mittel dazu ein Baugebot begründbar.“
Die Frist in Tübingen beträgt max. 4 Jahre bis zu der Wohnraum auf dem heute baureifen Land erstellt werden muss, sofern dem keine zwingenden Gründe entgegen stehen. Es geht also nicht um Enteignung o.ä. sondern um die Anwendung eines Gesetzes, dass so in Deutschland bisher nur sehr selten zur Anwendung kam. Wegen der Wohnungsprobleme in vielen Städten, könnte sich das bald ändern. Vielleicht bringt der neu zu wählende Gemeinderat in Freiburg auch eine entsprechende Initiative auf den Weg.
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