Zum Thema Dietenbach gab es die erste Einwohnerversammlung seit 1983

- Foto: www.Freiburg.de

Schon die Vorgeschichte mutet etwas skurril an. Denn bereits seit geraumer Zeit sammelt die Bürgeraktion Dietenbach Unterschriften mit dem Ziel, die zahlreichen beim Bürgerentscheid gemachten Versprechungen einer aktuellen Prüfung zu unterziehen. Die Forderungen auf eine Stellungnahme seitens der Stadt beziehen sich unter anderem auf folgende Punkte:

- Stand der Finanzierung des neuen Stadtteils Dietenbach unter besonderer Berücksichtigung der 50 % Quote (z.B. Sozialer Wohnungsbau).

- Auswirkungen des neuen Stadtteils Dietenbach auf den Freiburger Mietspiegel.

- Wo entsteht im Vorfeld von Dietenbach bezahlbarer Wohnraum in der Stadt?

Laut Gemeindeordnung ist jedes Jahr eine Einwohnerversammlung vorgesehen. In Freiburg fand die letzte Einwohnerversammlung (vor Dietenbach) jedoch letztmals vor 36 Jahren, d. h.  1983 im Zusammenhang mit dem AKW Whyl statt.

Es war klar, dass die Bürgeraktion bei der Einwohnerversammlung am 11.11.2019 mitwirken wollte. Die Stadtverwaltung kontaktierte die Bürgeraktion aber offenbar erst im Oktober, nachdem der beabsichtige Ablauf der Versammlung im Wesentlichen bereits feststand. Dabei wurde der Bürgeraktion für die ca. dreistündige Veranstaltung lediglich ein neunminütiges Rederecht eingeräumt. Hinzu kam, dass die drei für die Bürgeraktion maßgeblichen Fragen nur einen Teil der Veranstaltung ausmachten. Verärgert über dieses Vorgehen sagte daher die Bürgerinitiative ihre Teilnahme an der Einwohnerversammlung ab.

 

Zu dem konkreten Ablauf: Nach der Begrüßung durch OB Martin Horn stand die Erläuterung des Rahmenplans, der vorbereitenden Maßnahmen sowie die Vermarktungskonzeption auf der Agenda. Im Zuge der Veranstaltung wurde klar, dass die Stadt voll auf Dietenbach setzt, obwohl es noch sehr viele offene Fragen gibt und darüber hinaus nicht alle Eigentümer ihre Grundstücke abzugeben bereit sind. Hinzu kommt die Frage nach der Kostenkalkulation: Nachdem nämlich bis vor wenigen Tagen die für die Stadt zu erwartenden Kosten (laut Webseite) noch mit 600 Mio. € angegeben worden waren und die Erlöse mit 590 Mio. €, mussten diese Werte drastisch nach oben korrigiert werden. FRIMP hatte schon zuvor von dieser Kostenexplosion berichtet: www.frimp.de/redaktion-frimp/droht-freiburg-die-pleite-gigantisches-defizit-wegen-dietenbach.

Die Kosten wurden nun mit 850 Mio. € angegeben und sind somit um ca. 40 % höher als beim Bürgerentscheid im Februar.

 

40 % Mehrkosten in weniger als 9 Monaten

 

Dr. Engel, der Chef der Projektgruppe Dietenbach, argumentierte zwar, dass die Zahlen nicht ganz vergleichbar seien, jedoch ändert dies nichts an der Tatsache, dass den Bürgern zuvor (auf der offiziellen Webseite, zahlreichen Infobroschüren und Veranstaltungen) ein Defizit von nur 10 Mio. und Kosten von 600 Mio. € kommuniziert wurde. Die Einnahmen werden jetzt mit 750 Mio. € angegeben. Außer Acht gelassen wird dabei, dass der Gemeinderat einen Beschluss gefasst hat, der den Verkauf städtischer Grundstücke nicht vorsieht.

Die BZ hatte die daraus resultierenden Mindereinnahmen neulich mit 200 Mio. – 250 Mio. beziffert. Wie aus dieser Gemengelage jetzt 160 Mio. € höhere Erlöse werden sollen, wurde nicht klar und erscheint unlogisch.

Zu bedenken gilt es in diesem Zusammengang, dass Freiburgs Bauverwaltung in den letzten Jahren sehr häufig durch Fehlkalkulationen von sich Reden gemacht hat. Sei es beim Neuen Rathaus, beim Augustinermuseum, beim SC-Stadion oder erst kürzlich, bei der Adolf-Reichwein-Schule. Alleine bei dieser Grundschule gibt es Kostenüberschreitungen der Sanierung von über 100 % (um 8,7 Mio. €). Bei den anderen Beispielen geht es in Summe um ein Vielfaches.

Bei der Kalkulation von Dietenbach wird dennoch davon ausgegangen, dass ab jetzt alles planmäßig abläuft. Dieser Optimismus ist bei einem Megaprojekt, dessen Dauer auf über 20 Jahre angesetzt wird, jedoch höchst unrealistisch.

Konjunktureller Abschwung, Zinsanstieg, Vermarktungsprobleme, Rechtstreitigkeiten, Baukostensteigerungen, Fehlkalkulationen, Firmenpleiten, Regressforderungen, Fachkräftemangel, Verzögerungen, Bauauflagen, Bevölkerungsrückgang (usw.) können die Kalkulation stark beeinträchtigen. Mit entsprechenden Sicherheitszuschlägen scheint die Stadt aber nicht zu rechnen. Von daher ist unter der Voraussetzung einer realistischen Betrachtung von weiteren Kostensteigerungen und Einnahmeausfällen auszugehen. Das höchst Problematische in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass Freiburgs Haushalt schon heute am Limit ist und die derzeitige Verschuldung bereits sehr hoch ist.

Im Frühjahr 2020 soll der Gemeinderat auf Basis aktueller Zahlen das weitere Vorgehen beraten und ggf. beschließen.

Unabhängig davon, so wurde berichtet, soll an dem Erdaushublager weiter gebaut, nach Denkmalschutzwürdigem geforscht sowie an der Verlegung zweier Hochspannungstrassen, des Funkturms (SWR), sowie der Gasdruckleitung geplant werden.

Für die Landwirte fehlen immer noch Ersatzflächen, auch sind die baurechtlichen Ausgleichsflächen noch nicht gefunden.

Teile von Dietenbach dürfen wegen der Überschwemmungsgefahr gegenwärtig überhaupt nicht bebaut werden. Auch hier bedarf es erst noch entsprechender Sondergenehmigungen des Regierungspräsidiums.

Keine Rolle auf der Veranstaltung haben der Klimaschutz und neueste Bevölkerungsprognosen gespielt.

Gerade erst wurde u.a. vom Ökoinstitut berichtet, dass Freiburg frühestens 2035 die Klimaziele einhalten wird können, falls Dietenbach gebaut wird, aber das wird offensichtlich in Kauf genommen, obwohl 2018 erstmalig nach 10 Jahren wieder mehr Menschen die Stadt verlassen haben, als hierher gezogen sind. Im gleichen Zeitraum wurden ca. 1000 neue Wohnungen gebaut, aber es sind nur 625 Babys mehr geboren, als i.d.R. alte Menschen gestorben sind. Das hat zu einer tendenziellen Entspannung am Wohnungsmarkt geführt die 2019 und in der Folge anhalten könnte. Zumindest geht davon u.a. das Statistische Landesamt aus. Trotzdem hält man offensichtlich am Bau fest.

Wenn ein derartiges Milliardenprojekt mit derlei Risiken behaftet ist, sollte man eigentlich erwarten, dass die Notwendigkeit für den Bau zumindest in diesem Projektstadium regelmäßig überprüft wird.

Noch geht die Bauverwaltung davon aus, dass die versprochenen 50 % geförderter Wohnraum in Dietenbach entstehen. Von der Sparkasse gab es dazu aber keine direkte Stellungnahme auf der Einwohnerversammlung, denn die Sparkasse war zumindest offiziell nicht zugegen, obwohl sie das gesamte Grundstücksgeschäft abwickelt. Denn alle Grundstückseigentümer, außer z.B. der Stadt, verkaufen in einem ersten Schritt die Grundstücke an die Sparkassengesellschaft.

Unabhängig davon, ob die Stadt letztendlich die Grundstücke verkauft, oder diese verpachtet, steigt das geforderte Entgelt dafür, wegen des Kostenanstiegs permanent an. Als Kaufpreise werden inzwischen ca. 1000 €/qm für die Grundstücke genannt. Das wird auch auf die geförderten Mieten umgelegt. In Verbindung mit dem Effizienzhausstandard und weiteren Bauauflagen kann Dietenbach nach Einschätzung von Experten, wie z.B. Prof. Francke daher keinen wirklich günstigen Wohnraum generieren.

Die Konsequenz wird sein und auch das war ja eine der Fragen des Aktionsbündnisses, dass der Mietspiegel steigen wird, wenn die neuen Wohnungen in Dietenbach fertig sind und in den Mietspiegel einfließen. Gerade dieses Problem  kam in der Einwohnerversammlung jedoch kaum zur Sprache.

Interessant wäre die Sicht der Kritiker bzw. der Opposition gewesen. Diese waren aber, wie eingangs erwähnt, nicht auf dem Podium, so dass insgesamt eine sehr einseitige, optimistische Sicht auf den aktuellen Projektstand von Dietenbach an dieser Einwohnerversammlung vermittelt wurde.

Ob bei diesen vielen offenen Fragen und Kritikpunkten und den extremen Kostensteigerungen die Bürger der Stadtverwaltung weiter vertrauen, wie es Bürgermeister Haag und Dr. Engel am Ende erbaten, muss sich erst noch erweisen.

 

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